Oh Johnny/1

img_0468Ruhiger Seegang, verzogen der Sturm, die Gischt, die Wogen, die Wellen leicht gekräuselt nur. Lange Schleppen aus Algenhaar flankieren das Schiff, modrigbraun, golden gesprenkelt im Sonnenlicht. Jooohn-ny, Jooohn-ny, krächzt der Papagei, der eben noch friedlich auf meiner Schulter schlief. Ich ging also zur See … Jooohn-ny … Sei lieb, ich versuche zu steuern unser Geisterschiff.

… wird fortgesetzt …

Fontane ❤️ Auf fb kürzlich wiederentdeckt, gelesen, in See gestochen.

John Maynard!
„Wer ist John Maynard?“
„John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo –
die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … Halbe Stund.“

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –
da klingt’s aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
„Feuer!“ war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. –

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
„Noch da, John Maynard?“
„Ja, Herr. Ich bin.“

„Auf den Strand! In die Brandung!“
„Ich halte drauf hin.“
Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“
Und noch zehn Minuten bis Buffalo.

„Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt’s
mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt’s!“
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell’n
himmelan aus Kirchen und Kapell’n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schließen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard.“

Unterm Birnbaum

imageAlles begann mit dem Birnenkompott, nein, natürlich mit der Birne, die mir fiel auf den Kopf. Ich lag unterm Birnbaum, blinzelte in die Sonne, betrachtete das Wolkenbild, das Leben halb gewonnen, die andere Hälfte werde ich mir auch noch holen, dachte ich. Wie ich da lag fiel eine reife Birne herunter, breiig lag sie am Boden neben meiner Schulter. Man kann daraus noch was machen, schoss mir durch den Kopf. Die zweite Hälfte inzwischen angetreten, ich habe nichts gewonnen, wenn auch nichts verloren. Das sage ich heute während ich mich ratlos am Kopfe kratze, ja, die angebrannte Kruste im Topf, das sollte eigentlich was Gutes werden, ein Birnenkompott.

Im Treppenhaus sinnlos gestorben

imageDer erste Stock ist erreicht, bloß nicht umdrehen. Der Mann hinter mir muss nach Luft ringen, ich rieche seine Fahne. Es ist 2 Uhr nachts, das Licht geht aus. Ich wuchte die Schinkenkeule von links nach rechts, es reißt mich fast die Treppe runter, keine Zeit die Schultertasche zu richten, sie schleift am Boden, mein Arm verhakelt im Jackenärmel, er steckt fest mit gebeugtem Ellbogen. Das Licht geht wieder an. Wo ist er? Darf ich? Nein, ist ganz leicht! Ich schleppe mich bleiern treppauf vorwärts. Ich esse kein Fleisch, sage ich, die Schinkenkeule, 6 Kilo schwer in meinen Armen, wir haben alle eine bekommen. Aaah, ja. Weiter Schweigen. Endlich. Im Gleichklang schließen wir jeweils unsere Wohnungstüren auf. Drei Jahre schon leben wir Wand an Wand, ich kenne den Mann gerade so vom Sehen, wir bräuchten eine Anleitung wie wir miteinander umgehen. Im Flur am Boden liegt die Schinkenkeule. Sinnlos, sinnlos. Ach, such das Schwein ist umsonst gestorben.

Danke für die Inspiration: http://juttareichelt.com/2016/03/11/9-geschichtengenerator-in-aktion/

 

So ist das Leben / 2

truebertag

Rhythmisches Klopfen und ein gepfiffenes Lied, ich renne zur Tür. Es klopft bei den Nachbarn, nicht bei mir. Komm´ heraus! Eine Lieferung, ein Leben, dein eigenes, blank geputzt wie neu, unterschreib´. Ein dumpfes Flehen dringt von nebenan. Mach´ bitte auf! Du hast es gehört, es ist deins! Die Tür geht nicht auf. Soll ich den Glücksboten zu mir locken? Soll ich? Ich blicke durch das Schlüsselloch, zu spät, ich sehe wie er sich entfernt. Ein Paket unterm Arm, ein paar Blumen in der Hand.

An Tagen wie diesen, trüb, kalt, unentschlossen zwischen neu und alt, steigt schon mal Zorn in mir auf, mit zusammengeballten Fäusten rufe ich laut, ich bin dran! Aber nein. So ist das Leben, in Dreiteufelsnamen!

Hund im Haus. Eine Kosten-Nutzen-Analyse

imageNüchtern betrachtet, ich kann nicht anders, was bleibt übrig, frage ich mich? Was bleibt übrig nach Abzug aller Kosten, Mühen und Zeit. Nicht viel. Hunde erzeugen Wärme, heißt es, eine komplizierte Umrechnung, doch am Ende reicht es für nichts. Hunde verteilen das Chi, die gute Energie, die sich sonst im Hausflur stauen würde. In der Tat verteilen wir sehr viel, allein wie sie mich zum Narren halten mit dem Ich-muss-raus-gar-nicht-wahr-ich-muss-nicht-Spiel. Es sieht nicht gut für euch aus! Ohgottohgottohgott, verzweifelt Hund2.
– Was sagst du dazu, Hund1?
– Nüchtern betrachtet, sagst du?
– Ja
– Schenk´ dir was ein und trink´!

Versumpft

imageLange, lange hatte ich auf meine ersten Gummistiefel gewartet. Bis dahin machte ich brav und stiefellos um alle Tümpel einen großen Bogen. Und dann hatte ich sie, sie standen auf dem Tisch, meine Größe, für mich. Ich zog sie an und lief zu den Pfützen hinaus. Endlich Matsch, Sumpf, Morast. Ich bekam Flügel, sprang mit Wucht in den Matsch hinein. Ich kann über den Sumpf fliegen, dachte ich, bis ich samt den neuen Stiefeln im breiigen Boden versank. Kein vor, kein zurück. Ich bin keiner, der gleich Panik schiebt, aber wenn mich nicht bald einer hier stehen sieht, dann weiß ich nicht. Man zog mich raus. Meine Stiefel! Rettet auch sie!

Übermut, Höhenflug, tiefer Fall. Ich dachte … aber nein, selbst wenn man Zauberstiefel trägt ist man davor nicht gefeit.

Eiskalt

imageDas alles wird einmal dir gehören, jeder Stein, schau‘, auch die Nägel in der Wand, sagte der Vater zu seinem jüngsten Kind, dem Nachzügler, dem fröhlichen Kind. Es sollte anders kommen.

Die Fischerstiefel stehen nicht im Flur, warum? Da klopfte es schon an der Tür, Kälte zog durch das Haus, kroch bis ins Kinderbett vor. Der Vater war tot. Barfuß ohne Schuhe stand er aufrecht im See, unter dünnem Eis, tot, gespenstisch rot die Mütze auf seinem Kopf. Wer treibt hier seinen schändlichen Schabernack? Der Wassergeist, der böse Nöck? Haha, haha, mein Werk! Die rote Mütze zeigt euch den Weg! Jemand sagte, es waren drei Männer am See, jemand trug die Stiefel, jemand warf sie später über den Zaun. Die Mutter stellte sie an ihren Platz im Flur. Lasst nur, lasst endlich Frieden sein, sagte sie nur.

Das fröhliche Kind von einst kann sich nicht erinnern. Ich hatte ein Kleid mit roten Äpfeln drauf. Ein Vater, der seine Familie liebt, ein Apfelkleid und die Stiefel im Flur – so viel, so wenig, nicht mehr, die ganze Kindheit ist damit erzählt. Die Erinnerung an das versprochene Haus ging auch verloren.

Ein schlechter Menschenkenner

Ich bin eigentlich ein guter Menschenkenner, aber diesmal lag ich daneben. Wenn ich das höre, weiß ich, dass ich keinen guten Menschenkenner vor mir habe. Und dass es von hier nicht weit bis zum „Du kennst die Menschen nicht“ ist. Stimmt, tue ich nicht. Als ob es was Schlechtes wäre.

Ich sage meinem Hund immer wieder, dass er bestimmt nicht bei den Nachbarn wohnen will, und wenn sie noch so viele Eimer mit Trockenbrot in der Garage stehen haben. Ich habe ihm aufgezählt, was er drüben alles nicht hätte, habe ihn böse angeschaut, er glaubt mir doch nicht. Er ist ein Charlie Brown, leichtgläubig, einfach zu täuschen, von Menschen versteht er nichts. Und das ist bestimmt nichts Schlechtes.

Mein Hund, ein schlechter Menschenkenner
Mein Hund, ein schlechter Menschenkenner

Ich spreche, also geht es mir schlecht/2

Es ist nicht mein Schmerz, dieses Mal will ich jemanden, dessen Plan vom perfekten Leben nicht aufgegangen ist aufmuntern. Ich will sagen, dass Perfektion nur ein starres Konstrukt ist, das fürs ganze Leben viel zu klein und sowieso ungeeignet ist. Kopf hoch, vielleicht noch. Aber was weiß ich schon und wer will das hören.

Wenn ich meinem Hund den Verband am verletzten, schmerzenden Pfötchen wechsle, sage ich ihm, dass alles wieder gut sein wird. Und ich weiß, dass er weiß, dass es so kommen wird, sonst würde ich es nicht sagen. Und wir beide wissen, dass ich nichts hätte sagen müssen. Ein perfekter Trost, der selbst unausgesprochen zielsicher ankommt.

Aber ich muss reden, mit Worten mir Gehör verschaffen, überzeugen, beschwören, Vertrauen aufbauen, Misstrauen ausräumen, versprechen, schreien wenn nichts hilft. Für gewöhnlich treffe ich daneben.

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