Der Tote im Wald

3004-1

(Eine Lichtung im finsteren Wald)
– Ist er tot?
– Ja, er ist tot

(Nächster Tag, ebendort)
– Ist er tot?
– Ja, er ist tot

(Drei Wochen später, ebendort)
– Ist er tot?
– Ja, er ist tot

(Halbes Jahr später, ebendort)
– Er ist weg
– Ja, er ist weg

Es traten auf: Hund1, Hund2, Er (ein toter Hase)

Inspiration und unerreichte Vorlage gefunden bei https://hundstrueffel.wordpress.com/2016/04/29/bruderzwist-im-hause-hund/

 

 

Coal Minerˋs Daughter

imageWir vom Revier schaukeln breitbeinig über das durchlöcherte Land, nicht leichtfüßig, nicht elfengleich. Wenn ich abhebe, stürze ich doch nur krachend ab, lande unten in einem verlassenen Kohlenschacht. Ich pruste und huste Kohlenstaub aus, gewöhne mich an die Dunkelheit, an das Leben im Schacht. Mit einem Schlägel schlage ich auf die pechschwarze Wand ein, schwarzes Gold, Diamanten vielleicht, irgendwo hier unten werden sie schon sein. Die Bergmännchen streuen mir Irrlichter ins Aug´, ich falle bereitwillig, leichtgläubig darauf ein. Lacht nur, lacht! Trotzdem, hier unten kenne ich mich aus. Da oben die Sterne sind nicht für mich gemacht.

Fangenspielen

imageLass los! Lass los, pfeift mir der Wind zu, scharf, kalt, peitschend zischt er mir ins Ohr. Ich knöpfe die Jacke zu, verschränke die Arme, beuge mich vor, beschleunige, renne schon. Es ist wie damals auf dem Schulhof. Warum lässt du dich nicht fangen, krächzte dünn mein kleiner Freund, schwer nach Atem ringend. Bist nicht schnell genug, sagte ich. Gott, ist er dumm! Aber das Fangen gehört dazu, es ist das Beste am Spiel, sagte er und zog beleidigt davon. Ich rannte, so verstand ich das Spiel. Ich halte fest, lasse nicht los, wie könnte ich. Es wird leichter für dich, wirf hin, lockt der Wind, jetzt irgendwie freundlicher gestimmt. Aber ich verstehe auch dieses Spiel nicht.

Sprach der Rabe „Nimmermehr“

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Lang, schaurig-schön, von E. A. Poe, weil´s der 100. Beitrag ist!

Einst, um eine Mittnacht graulich, da ich trübe sann und traulich
müde über manchem alten Folio lang vergess’ner Lehr‘ –
da der Schlaf schon kam gekrochen, scholl auf einmal leis ein Pochen,
gleichwie wenn ein Fingerknochen pochte, von der Türe her.
„’s ist Besuch wohl“, murrt‘ ich, „was da pocht so knöchern zu mir her –
das allein – nichts weiter mehr.“

Ah, ich kann’s genau bestimmen: im Dezember war’s, dem grimmen,
und der Kohlen matt Verglimmen schuf ein Geisterlicht so leer.
Brünstig wünscht‘ ich mir den Morgen; – hatt‘ umsonst versucht zu borgen
von den Büchern Trost dem Sorgen, ob Lenor‘ wohl selig wär‘ –
ob Lenor‘, die ich verloren, bei den Engeln selig wär‘ –
bei den Engeln – hier nicht mehr.

Und das seidig triste Drängen in den purpurnen Behängen
füllt‘, durchwühlt‘ mich mit Beengen, wie ich’s nie gefühlt vorher;
also daß ich den wie tollen Herzensschlag mußt‘ wiederholen:
„’s ist Besuch nur, der ohn‘ Grollen mahnt, daß Einlaß er begehr‘ –
nur ein später Gast, der friedlich mahnt, daß Einlaß er begehr‘; –
ja, nur das – nichts weiter mehr.“

Augenblicklich schwand mein Bangen, und so sprach ich unbefangen:
„Gleich, mein Herr – gleich, meine Dame um Vergebung bitt‘ ich sehr;
just ein Nickerchen ich machte, und Ihr Klopfen klang so sachte,
daß ich kaum davon erwachte, sachte von der Türe her –
doch nun tretet ein!“ – und damit riß weit auf die Tür ich – leer!
Dunkel dort – nichts weiter mehr.

Tief ins Dunkel späht‘ ich lange, zweifelnd, wieder seltsam bange,
Träume träumend, wie kein sterblich Hirn sie träumte je vorher;
doch die Stille gab kein Zeichen; nur ein Wort ließ hin sie streichen
durch die Nacht, das mich erbleichen ließ: das Wort „Lenor‘?“ so schwer –
selber sprach ich’s, und ein Echo murmelte’s zurück so schwer:
nur „Lenor‘!“ – nichts weiter mehr.

Da ich nun zurück mich wandte und mein Herz wie Feuer brannte,
hört‘ ich abermals ein Pochen, etwas lauter denn vorher.
„Ah, gewiß“, so sprach ich bitter, „liegt’s an meinem Fenstergitter;
Schaden tat ihm das Gewitter jüngst – ja, so ich’s mir erklär‘, –
schweig denn still, mein Herze, laß mich nachsehn, daß ich’s mir erklär!: –
’s ist der Wind – nichts weiter mehr!“

Auf warf ich das Fenstergatter, als herein mit viel Geflatter
schritt ein stattlich stolzer Rabe wie aus Sagenzeiten her;
Grüßen lag ihm nicht im Sinne; keinen Blick lang hielt er inne;
mit hochherrschaftlicher Miene flog empor zur Türe er –
setzt‘ sich auf die Pallas-Büste überm Türgesims dort – er
flog und saß – nichts weiter mehr.

Doch dies ebenholzne Wesen ließ mein Bangen rasch genesen,
ließ mich lächelnd ob der Miene, die es macht‘ so ernst und hehr;
„Ward Dir auch kein Kamm zur Gabe“, sprach ich, „so doch stolz Gehabe,
grauslich grimmer alter Rabe, Wanderer aus nächtger Sphär‘ –
sag, welch hohen Namen gab man Dir in Plutos nächtger Sphär‘?“
Sprach der Rabe, „Nimmermehr.“

Staunend hört‘ dies rauhe Klingen ich dem Schnabel sich entringen,
ob die Antwort schon nicht eben sinnvoll und bedeutungsschwer;
denn wir dürfen wohl gestehen, daß es keinem noch geschehen,
solch ein Tier bei sich zu sehen, das vom Türgesimse her –
das von einer Marmor-Büste überm Türgesimse her
sprach, es heiße „Nimmermehr.“

Doch der droben einsam ragte und dies eine Wort nur sagte,
gleich als schütte seine Seele aus in diesem Worte er,
keine Silbe sonst entriß sich seinem düstren Innern, bis ich
seufzte: „Mancher Freund verließ mich früher schon ohn‘ Wiederkehr –
morgen wird er mich verlassen, wie mein Glück – ohn‘ Wiederkehr.“
Doch da sprach er, „Nimmermehr!“

Einen Augenblick erblassend ob der Antwort, die so passend,
sagt‘ ich, „Fraglos ist dies alles, was das Tier gelernt bisher:
’s war bei einem Herrn in Pflege, den so tief des Schicksals Schläge
trafen, daß all seine Wege schloß dies eine Wort so schwer –
daß all seiner Hoffnung Lieder als Refrain beschloß so schwer
dies ‚Nimmer – nimmermehr.'“

Doch was Trübes ich auch dachte, dieses Tier mich lächeln machte,
immer noch, und also rollt‘ ich stracks mir einen Sessel her
und ließ die Gedanken fliehen, reihte wilde Theorien,
Phantasie an Phantasien: wie’s wohl zu verstehen wär‘ –
wie dies grimme, ominöse Wesen zu verstehen wär‘,
wenn es krächzte „Nimmermehr.“

Dieses zu erraten, saß ich wortlos vor dem Tier, doch fraß sich
mir sein Blick ins tiefste Innre nun, als ob er Feuer wär‘;
brütend über Ungewissem legt‘ ich, hin und her gerissen,
meinen Kopf aufs samtne Kissen, das ihr Haupt einst drückte hehr –
auf das violette Kissen, das ihr Haupt einst drückte hehr,
doch nun, ach! drückt nimmermehr!

Da auf einmal füllten Düfte, dünkt‘ mich, weihrauchgleich die Lüfte,
und seraphner Schritte Klingen drang vom Estrich zu mir her.
„Ärmster“, rief ich, „sieh, Gott sendet seine Engel Dir und spendet
Nepenthes, worinnen endet nun Lenor’s Gedächtnis schwer; –
trink das freundliche Vergessen, das bald tilgt, was in Dir schwer!“
Sprach der Rabe, „Nimmermehr.“

„Ah, Du prophezeist ohn‘ Zweifel, Höllenbrut! Ob Tier, ob Teufel –
ob Dich der Versucher sandte, ob ein Sturm Dich ließ hierher,
trostlos, doch ganz ohne Bangen, in dies öde Land gelangen,
in dies Haus, von Graun umfangen, – sag’s mir ehrlich, bitt‘ ich sehr –
gibt es- gibt’s in Gilead Balsam? – sag’s mir – sag mir, bitt‘ Dich sehr!“
Sprach der Rabe, „Nimmermehr.“

„Ah! dann nimm den letzten Zweifel, Höllenbrut – ob Tier, ob Teufel!
Bei dem Himmel, der hoch über uns sich wölbt – bei Gottes Ehr‘ –
künd mir: wird es denn geschehen, daß ich einst in Edens Höhen
darf ein Mädchen wiedersehen, selig in der Engel Heer –
darf Lenor‘, die ich verloren, sehen in der Engel Heer?“
Sprach der Rabe, „Nimmermehr.“

„Sei denn dies Dein Abschiedszeichen“, schrie ich, „Unhold ohnegleichen!
Hebe Dich hinweg und kehre stracks zurück in Plutos Sphär‘!
Keiner einz’gen Feder Schwärze bliebe hier, dem finstern Scherze
Zeugnis! Laß mit meinem Schmerze mich allein! – hinweg Dich scher!
Friß nicht länger mir am Leben! Pack Dich! Fort! Hinweg Dich scher!“
Sprach der Rabe, „Nimmermehr.“

Und der Rabe rührt‘ sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer
auf der bleichen Pallas-Büste überm Türsims wie vorher;
und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen,
und das Licht wirft seinen scheelen Schatten auf den Estrich schwer;
und es hebt sich aus dem Schatten auf dem Estrich dumpf und schwer
meine Seele – nimmermehr.

Der Rabe, Edgar Allen Poe / übersetzt von Hans Wollschläger

 

Zerbrechlich

elfenblume

Du weißt nicht wie es ist, sagte sie, rührend verliebt in bald sechzehntem Jahr, hoffnungslos und unerwidert. Ich soll nicht wissen wie es ist? Pfeilartig schoss Unmut in mir hoch, ließ mich schnell sprechen, holperig und zu schroff. Aber ja doch, Liebe, Schmerz, unerfüllt, trotzdem lebe dein Leben … Das ist mein Leben, schnitt sie mir das Wort ab. Sanft, mit einem leichten Windhauch nur, ließ sie die Tür ins Schloß fallen, mir wird sie ihr Seelenleben nicht anvertrauen. Ein paar Worte, hastig, aufgebläht, sich selbst wichtig nehmend, ich wünschte, wie so oft, ich könnte sie zurücknehmen.

Im Garten / 15. April ´16

„Was muss man lange zwitschern bis der Frühling endlich kommt, sagte der Spatz“ (Karel Čapek)

Wie Pech und Schwefel

image– Kommst Du raus zum Spielen?
– Bin gleich da, warte!
Schnell schrieb sie eine Nachricht auf einen Zettel, den sie dann an die Haustür heftete. „Mama, der Schlüssel liegt unter der Fußmatte“. Auf eine liebenswert falsche Art hatte sie alles richtig gemacht. Sie wollte ihrer Mama gefallen. Letzte Woche sah ich sie wieder. Sie reichte ihrer krank gewordenen Mutter eine Kuchengabel. Nimm lieber eine Gabel, der Teelöffel ist zum Kaffee umrühren, so, siehst du? Sie hielten schon immer wie Pech und Schwefel zusammen, wollten niemanden sonst in ihrem Team haben.

Was hast du was ich nicht habe?

image.pngAls ich im Park spazieren ging – ich suchte Kraft und Ruhe, schloss sich mir ein Begleiter an, elegant schritt er neben mir her. Was quält dich, fragte er. Mir gelingt so vieles nicht, es fehlt etwas, es fehlt … Ich weiß was dir fehlt, schau! Er schlug Rad, smaragdgrün, ein wogender Ozean, ich bin wunderschön, murmelte selbstvergessen der mich begleitende Pfau, bis er schließlich befand: Persönlichkeit! Ach, du bist doch nur ein aufgeplusterter Vogel! Es traf ihn irgendwie nicht, da sah ich schon den doppelten, sehr alten Boden. Nichts Neues, immer wieder, man braucht bloß ein abperlendes Gefieder!

Der Storch

storch

Eingetroffen am frühen Abend des 4. Aprils, er ist wieder da – der Storch. Bin froh darüber, verkündete doch ein polnisches Satireblatt kürzlich bitterböse: Polen weigert sich die aus dem Süden einfliegenden Störche aufzunehmen!

Feuer zieh!

feuer.jpg

Wir sitzen am Kamin, schauen ins Feuer. Leb´ wohl, Winter! Geh!
Ich: Wünsch´ dir was!
Hund1: Feuer zieh! Steige auf! Drachenköpfig, flammenwerfend, zischend, speiend. Ich habe die Macht, das verkünde, sie sollen vor Furcht erstarren!
Ich: Ganz du selbst, jaaa
Hund1: Jetzt du
Ich: Feuer zieh, wüte, zerstöre, verbrenne, zieeeeh …
Hund2: Feuer zieh … ??!!
Ich: … damit jeder im Dunkeln ein Licht sieht
Hund2 nickt. Wir schauen ins Feuer, in die wärmenden Flammen, so ist es gut, die Bitterkeit schwindet, man muss die gewaltige Kraft zähmen.